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Was ist gut am Älterwerden, Frau von Arnim?

Die Journalistin Gabriele von Arnim hat ein Buch mit dem Titel "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand" geschrieben. Der Deutsche Seniorentag hat sie dazu interviewt.

Was ist gut am Älterwerden, Frau von Arnim?
Erst mal muss man sich überhaupt damit anfreunden, älter zu werden. Das ist ja gar nicht so einfach. Ich sag schon: Ich bin eine alte Frau. Aber in dem Moment, indem ich es sage, habe ich nicht mich vor Augen. Diese Diskrepanz zu überbrücken, gelingt mir immer noch nicht immer. Schön am Älterwerden ist, dass es eine neue und größere Unabhängigkeit gibt. Man lässt sich nicht mehr so in Konventionen und Normen einengen. Ich finde, man ist freier – solange man gesund ist. Man ist natürlich auch müder und schafft nicht mehr so viel.

Was hilft Ihnen beim Älterwerden?
Was mir am meisten hilft, ist die Neugier. Ich bin nach wie vor enorm neugierig aufs Leben und auf Dinge, die ich noch nicht gelesen, gesehen, gehört, erlebt habe. Ich habe auch Lust, Menschen kennenzulernen. Obwohl ich manchmal denke: Ach, ich kenne doch schon viel zu viele. Aber es bringt mir trotzdem Spaß. Während der Pandemie ist aber auch noch mal deutlich geworden: Ich kann sehr gut mit mir alleine sein – wenn ich die richtigen Bücher habe. Dann geht es mir wunderbar allein zu Hause und ich kann lesen und vielleicht ein paar Notizen machen und etwas nachdenken. Auch das gehört zur Unabhängigkeit dazu, dass man wirklich lernt, mit sich zu sein und zufrieden mit sich zu sein.

Mit Ende 50 wollten Sie sich eigentlich von Ihrem Mann trennen. Dann erlitt er einen Schlaganfall. Sie blieben und pflegten ihn zehn Jahre lang bis zu seinem Tod. Was hat Ihnen in dieser Krise geholfen, nicht unterzugehen?
Viele Dinge. Fast immer sind es natürlich an erster Stelle Menschen. Die bereit sind zu helfen. Denen gegenüber man sich öffnen kann. Das muss man lernen. Jedenfalls musste ich es lernen, Bedürftigkeit zuzugeben. Wobei man auch aufpassen muss, die Menschen nicht zu überfordern. Ich war am Anfang wie ein tiefes schwarzes Loch, ein Schlund an Bedürftigkeit. Und wenn man das die anderen zu sehr spüren lässt, dann haben sie das Gefühl, sie verschwinden darin und kommen da auch nicht wieder raus. Man sollte deshalb seine Kraftquellen verteilen und sie an verschiedenen Orten suchen. Eine Kraftquelle für mich war immer das Lesen. Wenn ich in andere Leben, in andere Dramen, in andere Liebesgeschichten eintauchen konnte, das hat unglaublich gut getan.

Was nützen Liebe und Partnerschaft, wenn einer so schwer krank und pflegebedürftig wird?
Nützen ist ein furchtbares Wort im Zusammenhang mit Liebe. Also es ist sehr schwer, glaube ich, jemanden zehn Jahre in seiner Krankheit und in all seinem Elend und seiner Mutlosigkeit und seiner Verzweiflung zu begleiten, wenn man es nicht gerne macht. Und wenn man es nicht liebend macht - mit einer gewissen Innigkeit, möglichst auch noch mit Humor. Nicht mit Angst, wie ich es getan habe. Ich hatte leider sehr viel Angst. Das bedauere ich nachträglich, weil ich denke, das hat auch ihm nicht gut getan. Ich habe in meinem Tagebuch den Satz gefunden: Liebe muss sein. Das klingt vielleicht merkwürdig. Aber ich behaupte: Ein bisschen kann man das entscheiden, üben und lernen.

Ich finde es dennoch erstaunlich, dass Sie sich für das Zusammenbleiben entschieden haben.
Ich fand, ich hatte gar keine Wahl. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, ihn jetzt noch zu verlassen nach den beiden Schlaganfällen. Ich meine, der Mann war so elend dran, da konnte ich doch nicht weggehen. Da wäre weder er noch ich glücklich geworden. Davon bin ich nach wie vor überzeugt.

Ihr Mann ist vor sieben Jahren gestorben. Wie sind Sie nach der langen Zeit des Ausnahmezustandes wieder zurück in Ihr Leben gekommen?
Ich hatte mein Leben nie ganz aufgegeben. Mein Mann war gut versichert und wir hatten dadurch genug Geld, um eine Pflegerin zu engagieren. Insofern konnte ich immer ein bisschen arbeiten - und ich glaube, das war mein großes Glück. Auch nachdem er gestorben war, konnte ich relativ schnell wieder anfangen, Sendungen zu machen und zu moderieren. Ich war damals schon 67, eigentlich im Rentenalter. Für mich war es nochmal ein Aufbruch. Geholfen haben mir neben der Arbeit, wie immer, Menschen und Bücher. Und ich habe mir Zeit gegeben für die Trauer. Ich habe den Schmerz akzeptiert und ihn nicht verdrängt. Ich hatte bei anderen gesehen, dass sie ihre Trauer nicht lebten und dann so ein bisschen dumpf wurden. Das wollte ich nicht. Ich wollte lieber die Trauer leben und auch den Schmerz. Schmerz ist ja auch etwas sehr Lebendiges. Er faucht und klopft und atmet.

Leben Sie noch in der Wohnung, in der Sie mit Ihrem Mann gewohnt haben?
Ja, ich bin nicht umgezogen. Ich wollte gerne genau da bleiben, wo wir zusammengelebt haben, wo die Wohnung mir unsere Geschichte erzählt. Das mag ich.

Am 24.11.2021 liest Dr. Gabriele von Arnim auf dem Deutschen Seniorentag in Hannover aus ihrem Buch. Das Vorab-Gespräch hat Valeska Zepp mit ihr geführt.

Quelle: Website Deutscher Seniorentag